INSPIRING WORKING CONDITIONS?!

Neulich war ich zu Besuch im Bosch IoT Campus in Berlin. Ich war sehr gespannt, was mich dort erwartet, nachdem ich von vielerlei Seiten schon gehört hatte, dass hier der Geist der Innovation und der schönen neuen Arbeitswelt zu finden sei.

Die Internetrecherche im Vorfeld zeichnete ein geradezu überschwängliches Bild, was mich ehrlich gesagt kritisch stimmte: 

Wir werden hier neue Formen des Zusammenarbeitens und Lernens erproben

Bosch-Chef Volkmar Denner

ein herausragender Baustein für Berlin als digitale Hauptstad

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller

Arbeiten im Wohnwagen

Elektroniknet

Ein Birkenwäldchen für die Bosch Entwickler

Golem.de

Wieder so ein Projekt der Industrie, das sich durch eine fancy Architektur auszeichnet und die Mitarbeitenden bei der Konzeption vergessen hat? Viel zu oft verstauben die Kickertische und die Kanban Boards ungenutzt. Die etwas hölzerne Art von Michael Hahn, dem Chef der Bosch Software Innovations, im virtuellen Youtube-Rundgang lässt mich sowas befürchten.

Ich komme mit meiner Partnerin Christin und unserem Hund Robby in Tempelhof an und wir werden freundlich begrüßt von Andreas, einem Gruppenleiter der Bosch Software Innovations. Ein erfahrener Kollege mit langen Haaren und Flanellhemd, aber nicht im für Berlin so erwartbaren Hipster Klischee, sondern in einer wunderbar unprätentiösen Art. Kaum geht die Sicherheitsschleuse auf, steht im Erdgeschoß schon der Wohnwagen. Ob da wirklich jemand drin arbeitet? Kaum fertig gedacht, ging die Tür auf und zwei chinesische Mitarbeiter kamen mit ihrem deutschen Kollegen fröhlich grinsend aus einer Besprechung. Ein erstes Lächeln huscht über mein Gesicht – Bosch nimmt es wohl ernst mit New Work… ? Gleich daneben: Eine transparente Berghütte, die als Raum für Kommunikation und Protoyping dient. Wieder nur einige Schritte entfernt: die Werkstatt, voll mit Bastelmaterial und natürlich Bosch Werkzeugen aller erdenklicher Art. Alles sieht sehr benutzt aus. Wir streifen ums Eck und steigen eine Treppe nach oben in ein muggeliges Zwischengeschoß mit Vintage-Möbeln, die nach Auskunft der beiden dort arbeitenden Kollegen frisch vom Flohmarkt kommen. Wir scherzen, ob es denn dafür bei Bosch keine Prozesse gäbe. Andreas zwinkert mir zu und antwortet smart lächelnd mit einem vielsagenden: „Schon!“

So stromern wir durch die drei Etagen nach oben, kommen am Birkenwald, dem hauseigenen Theater, mehreren Besprechungszellen, selbstgebautem Mobiliar, unzähligen Quadratmetern offener und jederzeit veränderbarer Büroräume sowie am obligatorischen Kickertisch vorbei.  An jeder Ecke sind Menschen vertieft in ihre Arbeit, sie tauschen sich ungezwungen mit Kolleg*innen aus – oder sie kickern!

Als ich Andreas frage, ob dieser Ort hier etwas mit ihm und seinen Mitarbeitenden gemacht habe, seit sie in den Campus gezogen sind, antwortet er: „Klar! Aber das ist nicht das Entscheidende. Es ist vielmehr die Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Da ist es nicht wichtig, ob wir einen Birkenwald im Büro haben oder nicht. Es hätte genauso gut eine Sperrholzwand werden können. Denn die Einrichtung im Campus kommt zum Großteil von den Mitarbeitenden. So wie dieses Hirschgeweih in der Ecke“. Er deutet erkennbar überrascht dorthin. Offenbar hatte er es vorher noch gar nicht gesehen. „Wir ziehen in einem halben Jahr wieder in ein anderes Gebäude. Dort wird alles klassisch eingerichtet sein. Dennoch leben wir das Miteinander einfach so weiter.“ – „Was ist denn New Work für dich?“ Er antwortet: „Das ist die Art und Weise, wie wir zusammenarbeiten. Vertrauen, Wertschätzung und Empathie halte ich da für ganz entscheidend.“ Dabei schauen wir uns riesige Fotografien an, die an der Wand hängen. „Was hältst du denn von den sogenannten Inspiring Working Conditions?“ möchte ich von ihm wissen. „Ich habe schon einige dieser Ansätze gesehen, auch bei uns. Dabei dachte ich mir: Working? Klar! Conditions? Sowieso! Aber was bitteschön ist dabei Inspiring? Das ist hier im Campus schon anders. Da weht ein authenischer Wind. – Die Fotos sind übrigens allesamt Urlaubsbilder von Kolleg*innen hier aus dem Haus!“ Wir queren die enorme Küche, in der sich ein Kollege gerade sein Mittagessen zubereitet. „Ich bin mir schon darüber bewusst, dass der Ansatz, den wir hier fahren, in anderen Standorten nicht funktioniert, vor allem im Produktionsumfeld. Da haben wir bei Bosch viel gelernt“ ergänzt Andreas.

Nach einer knappen Stunde sind wir auf der Dachterrasse des Campus angekommen und genießen die Aussicht auf den Tempelhofer Hafen. Ob er denn wegen des bevorstehenden Umzuges wirklich keine Wehmut empfinde, frage ich ihn. Er atmet kurz durch, schaut auf die Schiffsanleger zu unseren Füßen und meint: „Ich bin eine alte Wasserratte. Einmal bin ich mit meinem Boot zur Arbeit gekommen. Kein Stau, keine Menschenmassen, nur ich auf dem Wasser. Der Arbeitsweg hat an dem Tag damals zwar zwei Stunden länger gedauert als sonst, aber das werde ich in Zukunft so nicht mehr haben können.“

Nun, einige Tage nach dem Besuch, wird mir immer klarer, dass im Bosch IoT Campus etwas ganz besonderes geschieht. Der Mensch beeinflusst den Raum, und der Raum den Menschen. Hier zählt das Individuum und seine Bedürfnisse. Kandinsky wird der Spruch zugeordnet: Die Notwendigkeit schafft die Form. Wenn das die Quintessenz von New Work ist, dann ist sie am Tempelhofer Hafen äußerst inspiring umgesetzt. Danke Andreas für eine Stunde Zukunft!

Nähere Infos zum IoT Campus findest du hier.

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